Bericht/Fotogalerie: Dreißigtausendmal Nein zum Rechtsruck
Aachen. In der Region sind am Samstag nach Polizeiangaben rund 30.000 Menschen gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck und die AfD auf die Straße gegangen. Demonstrationen gab es in Aachen, Düren und Eschweiler. Nachdem in der vergangenen Woche schon rund 10.000 Menschen in Aachen demonstriert hatten, versammelten sich nun am Holocaust-Gedenktag rund 20.000 Menschen um Dom und Rathaus – darunter auch bekannte Politiker*innen und der designierte Preisträger des Aachener Karnevalsvereins (AKV), Daniel Günther.
Im Laufe der Woche hatten sich die Pläne des Organisationsteams um den „Runden Tisch gegen Rechts“ für die Großdemonstration mehrfach geändert. Aus Sicherheitsgründen und wegen des zu erwartenden großen Andrangs war ein angekündigter Demonstrationszug durch die Innenstadt wieder abgesagt worden. Stattdessen fand eine Großkundgebung mit Reden und Programm auf dem Katschhof statt. Alles wurde live auf zwei Videowände auf dem Markt und dem Platz der Demokratie am Büchel übertragen. Alle drei Plätze waren zu Spitzenzeiten überfüllt. Im Vergleich zur Demonstration am letzten Samstag verdoppelte sich die Zahl der Teilnehmer*innen auf insgesamt rund 20.000. An der von „Fridays vor Future“ kurzfristig organisierten und gegen Ende immer größer werdenden Demonstration vom Hauptbahnhof zu den Kundgebungsplätzen nahmen nach Polizeiangaben zunächst 500, später 1.000 Menschen teil – nicht selten aus dem linken Spektrum.
Organisiert wurden die drei Kundgebungen rund um Dom und Rathaus von einem breiten Bündnis aus Oberbürgermeisterin, demokratischen Parteien, Religionsgemeinschaften, Vereinen und Initiativen. Ein Motto aus den Jahren 2008 und 2009 wurde wieder aufgegriffen: „Wir sind Aachen – Nazis sind es nicht“. Plakate mit diesem Slogan hingen unter anderem in den Fenstern von Verwaltungsgebäuden und auf Werbeflächen. Später stieß auch die AKV zu den Unterstützer*innen der Kundgebungen, frühere (Bundesfinanzminister Christian Lindner, Julia Klöckner) und der aktuelle Preisträger (Daniel Günther) des „Ordens wider den tierischen Ernst“ nahmen teil. Zwar ernteten manche Bundespolitiker*innen auch Buh-Rufe aus Teilen des Publikums, aber spätestens mit den Reden von Günther und Armin Laschet, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Aachen, überwog der Applaus bei weitem.
„Wir sind Aachen – Nazis sind es nicht!“
In einer teils emotionalen Rede rief Oberbürgermeisterin Sybille Keupen zum gemeinsamen Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus auf. „Und wir werden [mit unserem Engagement] nicht aufhören, heute nicht, morgen nicht und [auch] in Zukunft nicht. Wir stehen für unsere Werte und darauf können sich alle in diesem Land verlassen!“ Die Aachener*innen würden zusammenstehen, „wir sind verdammt stark“ und alle würden gemeinsam einstehen „gegen Hass und Hetze“. Armin Laschet (CDU) erinnerte in seiner Rede an das aktuelle Motto „Nie wieder ist jetzt!“. Als ehemaliger nordrhein-westfälischer Integrationsminister sagte er aber auch, dieses „Jetzt“ hätte schon viel früher gelten müssen: Nämlich als vor rund zwölf Jahren die Morde an Migranten und einer Polizistin durch den rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) bekannt wurden.
Großen Beifall erhielt der zu diesem Zeitpunkt noch designierte AKV-Ordensträger und amtierende Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther (CDU). Günther erinnerte daran, dass die freiheitlich-demokratische Zivilgesellschaft bei allen politischen Meinungsverschiedenheiten im Engagement gegen die Feinde der Demokratie zusammenstehen müsse. So sei es gelungen, die AfD nach einer Legislaturperiode wieder aus dem Landtag seines Bundeslandes abzuwählen. Der Landtag sei heute eine „rechtsextremismusfreie Zone“, so der Christdemokrat.
Nach einem umstrittenen Posting von Alemannia Aachen im Vorfeld der Demonstration kritisierten Friedrich Jeschke, Mitglied des Alemannia-Verwaltungsrat, und die Bundestagsabgeordnete Ye-One Rhie (SPD) den Verein. Dieser hatte in seinem Posting zwar den Rechtsextremismus verurteilt, aber Demonstrationen wie in Aachen eine „Spaltung“ der Gesellschaft attestiert, weshalb man sich als Verein weder daran beteiligen noch zur Unterstützung aufrufen werde. Rieh erinnerte in ihrer Rede am Samstag daran, dass sie und ihre Familie eine Migrationsgeschichte hätten. Gleichzeitig sei sie ein treuer Fan des Fußballvereins. „Ich wünsche mir, dass die Alemannia für mich und viele andere Fans eintritt, wie wir als Fans für die Alemannia da sind.“
Jeschke hingegen erinnerte (auch in diesem Zusammenhang) an das Schicksal jüdischer Alemannia-Spieler in der NS-Zeit, die entrechtet, deportiert und ermordet wurden. Das umstrittene Posting des Fußballklubs stieß innerhalb weniger Stunden vor allem in AfD-Kreisen, bei Rechten und Rechtsextremen auf große Sympathie. Unisono lobten diese Kreise den Verein für seinen „Mut“. Alemannia Aachen bezeichnet das bundesweit heftig kritisierte Posting inzwischen als „Fehler“.
Weitere Proteste und Strafanzeigen
Auch in Düren und Eschweiler hatten breite gesellschaftliche Bündnisse zu Versammlungen aufgerufen. In beiden Städten sprachen Lokalpolitiker*innen und Engagierte vor den laut Polizeiangaben jeweils rund 5.000 Teilnehmer*innen. In Düren war das Rathaus im Vorfeld großflächig mit Plakaten und Transparenten mit dem Demonstrationsmotto „Düren bleibt bunt und tolerant! Nein zu Nazis!“ ausstaffiert worden. Damit sollte auch ein zusätzliches Zeichen gegen eine am Vormittag stattfindende Kundgebung des rechten Spektrums gesetzt werden.
An der von Rechtsradikalen und Verschwörungsgläubigen organisierten Kundgebung nahmen laut Polizei 74 Personen teil. Anwesend waren auch Vertreter*innen und Funktionäre der AfD und der „Querdenken“-Partei „dieBasis“. Die Kundgebung mit einem anschließenden kurzen „Spaziergang“ stellte eine Neuauflage der rechten „Friedensdemos“ dar und richtete sich offiziell gegen die Politik der „Ampel“-Koalition. Die Redner*innen kamen aus dem rechten, rechtsesoterischen, geschichtsrevisionistischen und verschwörungsideologischen Spektrum. Eine Rednerin relativierte den Holocaust – ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag.
Anders als bei früheren Protesten gegen Rechtsextremismus und Rassismus hat die Polizei mehrere Ermittlungsverfahren wegen eingezogener Plakate eingeleitet. „Während der Versammlung in Aachen wurden insgesamt sechs Plakate aufgrund des Anfangsverdachts der Beleidigung, der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole und Volksverhetzung sichergestellt. Entsprechende Strafverfahren wurden eingeleitet“, teilte die Polizei Aachen mit. Ihre Dürener Kolleg*innen schrieben: „Insgesamt mussten durch die Polizei vier Strafanzeigen gefertigt werden. In diesem Zusammenhang weist die Polizei darauf hin, dass das Verwenden von verfassungsfeindlichen Symbolen auf Plakaten, egal aufgrund welcher Motivation, strafrechtlich verboten ist und immer ein Strafverfahren nach sich zieht.“
In einer Stellungnahme schilderten Aktivisten der DFG-VK („Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen“) einen solchen Vorfall. Demnach beschlagnahmte die Polizei in Aachen deren Plakat, auf dem der AfD-Politiker Björn Höcke zu sehen war. Auf einem darauf zu sehenden Foto hebt er den rechten Arm, daneben steht: „Björn Höcke ist ein Nazi!“ Nach einem Gerichtsurteil ist das Plakat nicht strafrechtlich relevant und daher derzeit immer wieder bei ähnlichen Versammlungen zu sehen. (mik)